Kaspers Herkunft wird hier endlich geklärt: Tanzte er als Narr dem Teufel des Mittelalters auf der Nase herum, oder kroch er einfach aus einem Ei? Was hat es mit seinem Großvater Hanswurst auf sich, und warum darf der Marionettenkasper als einziger auf der Bühne den Mund aufmachen? Wieso putzt der Kasper heute Zähne und regelt den Verkehr? Und wie geht es eigentlich der Verwandtschaft in Asien?
Der Narr des Mittelalters
In vier Kapiteln blättert das Museum die Kaspergeschichte auf. Sie beginnt mit den Fastnachtsnarren und törichten Figuren des Mittelalters und der frühen Neuzeit, in denen sich Gottesfurcht und Teufelsangst der Zeit spiegeln. Faust-Inszenierungen und expressive süddeutsche und österreichische Fastnachtsmasken illustrieren diesen Bereich, der in einer Jahrmarktbühne eines Quacksalbers endet. Auf ihr erscheint der Hanswurst, der nun nicht mehr Tod und Teufel besiegt, sondern mit seinen Possen die Kundschaft unterhält.
Der Kasper im Marionettentheater
Über eine breite Barocktreppe führt der Weg entlang bekannter Hanswurst-Figuren in die Welt des Marionettenspiels. Um 1800 verschwindet dieser Hanswurst, zuvor bereits mehrfach verbannt, von der großen Theaterbühne. Doch im Wiener Volkstheater will das Publikum nicht auf den Spaßmacher verzichten, der nun Kasperle heißt. Reisende Komödianten tragen den neuen Namen nach Süddeutschland, Böhmen und Mitteldeutschland. In diesen Zentren des Wandermarionettentheaters nennt man die lustige Figur Kasperle, Kašpárek und Kasper. Im Elbe-Elster-Land überlebt das Spiel am seidenen Faden bis in die jüngere Gegenwart. Dieses Ausstellungskapitel präsentiert zahlreiche Figuren der hiesigen Wandermarionettenspieler ebenso wie Objekte ihres Lebensumfelds. Auch der Blick auf die europäischen Verwandten ist reizvoll; hier werden unter anderem der belgische Tchantchès und der böhmische Kašpárek gezeigt. Besonders beeindruckend sind sicher die Figuren der sizilianischen Opera dei Pupi. Diese Stangenfiguren des Sizilianischen Marionettentheaters sind bis zu 1,50 m groß und 40 Kilogramm schwer. Gespielt werden sie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der Haudrauf des Handpupppentheaters
Das dritte Ausstellungskapitel beschäftigt sich mit dem europäischen Handpuppenkasper. Seit Gauklertruppen über Land zogen, gab es diesen Haudrauf. Das derb-naive Spiel von Pulcinella, Punch oder Kasper begeisterte das Volk auf den Jahrmärkten Europas. In seiner Guckkastenbühne besiegte der Kasper schlagkräftig seine Widersacher und half, Tod und Teufel zu überwinden. Bilderbogen und Kinderbuch verhalfen ihm im 19. Jahrhundert zum Sprung ins Wohn- und Kinderzimmer. Im 20. Jahrhundert schließlich wurde der Kasper zur pädagogischen Figur und putzte fortan Zähne. Besucher werden in diesem Bereich von einer Jahrmarktinszenierung begrüßt, in der sich die Puppenspieler samt Kasperfiguren wiederfinden. Dem gegenüber steht die eher private Atmosphäre der Zimmertheater des 19. Jahrhunderts. Hohnsteiner Figuren ermöglichen es, die Wandlung des Kaspers zum Erzieher mitzuerleben. Ein Blick in die jüngste Kasper-Vergangenheit ist mit beliebten DDR-Figuren und den Künstlerpuppen des Finsterwalder Malers Eckhard Böttger möglich.
Ein Blick nach Asien
Das Puppenspiel Asiens steht im Fokus des vierten Ausstellungskapitels. Es hat eine sehr viel ältere Tradition als das europäische, ist vielerorts Teil des religiösen Ahnenkults, bringt die großen Epen des Hinduismus zum Publikum und vermittelt moralischen und religiösen Lehren. Und natürlich gibt es auch hier lustige Figuren: den Chú Tễu des vietnamesischen Wasserpuppentheaters, den Semar des indonesischen Wayang-Theaters oder den Karagöz des türkischen Schattenspiels. Die farbenprächtige Figuren aus Indien, China, Indonesien und Vietnam sorgen in diesem Kapitel für eine ganz besondere Atmosphäre.
Museum zum Anfassen und Mitmachen
Beim Ausstellungsrundgang laden interaktiv bespielbaren Modellen und Figuren immer wieder zum Ausprobieren und Mitmachen ein. Die Puppenbauer Jürgen Maaßen und Rainer Schicktanz steuerten bespielbare Puppen und Modelle bei. Besucher schlüpfen in ein mittelalterliches Narrenkostüm, können auf einer Bühne das Marionettenspiel ausprobieren oder einen Schattenriss zeichnen, auf dem Jahrmarkt mit Kaukautzky-Figuren agieren oder beim Jeu des massacre Lumpenbälle werfen. Hier darf und soll vieles angefasst und ausprobiert werden. Ergänzt werden die Ausstellungskapitel durch Film- und Hörstationen, die in Regie des Jagsaler Mediengestalters Christian Becker entstanden und die Ausstellungsinhalte vertiefen und weiterführen. Lebendig gehalten wird die Ausstellung nicht nur durch die vielen Mitmachangebote, sondern auch durch die hauseigene Puppenbühne, regelmäßige Gastspiele von Puppenspielern, dem Internationalen Puppentheaterfestival im September sowie einer Museumskirmes im November.
Die Ausstellungsmacher
Konzipiert wurde „Kaspers Welten“ vom Dresdner Theaterwissenschaftler Dr. Olaf Bernstengel und von Ralf Uschner, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum, ko-kuratiert. Olaf Bernstengel konnte die Fertigstellung aufgrund seines frühen Todes im Januar 2020 nicht mehr miterleben, doch sind „Kaspers Welten“ in seinem Sinne vollendet worden. Mit der von ihm gespielten Überkopffigur Dr. Pupp von Puppelsheim ist er dauerhaft in der Ausstellung vertreten.
Ihr unverwechselbares Gesicht erhielt die Ausstellung vom Dresdner Bühnengestalter und Szenografen Tom Böhm. An vielen Stellen wie die Bühne einer Theaterinszenierung angelegt, überrascht sie mit einer Vielzahl verspielter Details, die den Ausstellungsbau zu einem eigenen Kunstwerk machen. Zahlreiche gezeichnete und gemalte Szenen führen den Besucher unmittelbar in die Ausstellungskapitel und tragen maßgeblich zur theatralischen Anmutung von „Kaspers Welten“ bei.
Förderer und Unterstützer
Möglich gemacht wurde die neue ständige Ausstellung ebenso wie der Ankauf der Puppentheatersammlung Brockmüller durch großzügige Unterstützungen des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, der Kulturstiftung der Länder, der Ostdeutschen Sparkassenstiftung, der Sparkassenstiftung „Zukunft Elbe-Elster-Land“ sowie mit Mitteln aus dem EU-Fonds Leader.
Kasperspiel als Immaterielles Kulturerbe
Das „Kaspertheater als Spielprinzip“ ist mit einem Eintrag in das Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes gewürdigt worden. Ein Antrag des Landkreises Elbe-Elster als Träger des Mitteldeutschen Marionettentheatermuseums Bad Liebenwerda, diese alte, aber überaus lebendige Spielform als immaterielles Kulturerbe anzuerkennen, wurde im März 2021 von der Expertenkommission Immaterielles Kulturerbe bei der Deutschen UNESCO-Kommission bestätigt. Die lustigen Figuren des Puppenspiels verkörpern eine elementare Kraft, die immer und überall anzutreffen ist, stets lustig, naiv, verwegen, schlagfertig, derb, anprangernd, wortgewaltig und auch etwas hinterlistig. Sie dürfen auf der Bühne alles tun, ohne an Zwänge gebunden zu sein – im Gegensatz zu den Zuschauern, die in einer zusehends normierten und reglementierten Welt leben. (Dr. Olaf Bernstengel) Das Kaspertheater zeugt von hoher kultureller, lebendiger und kreativer Dynamik in Auseinandersetzung mit den jeweiligen gesellschaftspolitischen Verhältnissen und spricht Menschen unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft gleichermaßen an. Die Kulturform ist bundesweit verbreitet, aber stets lokal verankert und bietet Aufführungen im professionellen Bereich, im Laienspiel sowie als pädagogische Angeboten. Gut 350 der schätzungsweise 800 deutsche Puppenbühnen zeigen Kasperspiele, über 50 Puppentheater in Deutschland beschäftigen sich ausschließlich damit. Der Eintrag bestätigt und ergänzt die inhaltliche Neuausrichtung des Museums auf die lustige Figur im Puppenspiel. Neben der musealen Beschäftigung mit der Herkunft und Rolle des Kaspers im Handpuppen- und Marionettenspiel ist das Mitteldeutsche Marionettentheatermuseum ein wichtiger Ort der aktiven Pflege des Puppen- und des Kasperspiels. Mit zahlreichen Gastspielen von Puppenbühnen und als Spielort des Internationalen Puppentheaterfestivals des Landkreises Elbe-Elster gibt das Museum dem Kasperspiel eine Bühne. Es steht im Austausch mit anderen deutschen Puppenspielmuseen, ist Mitglied der Union Internationale de la Marionnette (UNIMA) und organisiert regelmäßig Symposien zu Puppenspielthemen.
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